8. Februar 2021
8. Februar 2021
sam

Die Rasse, der Schmutzfink und das Grundgesetz - eine philosophische Triage

Artikel 3 [Gleichheit vor dem Gesetz]

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

Guten Tag, meine in weiten Teilen rosarote, von blauen Äderchen durchzogene, mal grünliche, mal gelbliche, mal von braunen, mal von roten, mal von braunroten Flecken übersäte, blonde, brünette und rote Leserschaft, ich bin die ganze Zeit und überall braun und somit ein Farbiger. Herzlich willkommen in der grauen Manege!

schmutzfink-rasse-grundgesetz_schmutzigefinken
31.12.2020

Die Regierung hat nun wohl tatsächlich angekündigt, das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen und Menschen fragen mich, wie super ich das genau finde. Dass ich dagegen bin, irritiert sie gerne und ich muss Gespräche führen, die ich eigentlich nicht führen will. Vielleicht ist dem einen oder der anderen ja aufgefallen, dass ich mich gerne als Deutscher, als kritischer Bürger dieses Landes, mit Rassismusfragen und solchen Dingen auseinandersetze, aber nie als von Pigmentierung „Betroffener“, dass ich meine Farbe, abseits alberner Witzchen, eigentlich nie zum Thema mache. Das hat Gründe und wenn ich schon dabei bin, mich einmal von meiner Warte, von der des hin und wieder doch recht nüchternen Menschen hinter dem Schmutz, zur Sache zu melden, dann kann ich das auch direkt vollständig abhandeln.

Normalerweise, wenn ich mich an einen Text setze, dann weil ich nach Jahren des darüber Nachdenkens irgendeinen inneren Durchbruch erzielt habe und für mich zu dem Schluss komme, dass die Welt wohl eine bessere wäre, wenn mehr Leute zu dem gleichen Schluss kämen und so erfülle ich meine demokratische Pflicht, indem ich vor der Öffentlichkeit darlege, weswegen ich glaube, dass wir etwas mal von einer bestimmten Seite betrachten sollten, womit ich mich an der gesellschaftlichen Willensbildung beteilige. Manchmal geht es mir auch darum, eine Beobachtung zu teilen, bei der ich nicht glauben will, dass ich sie als einziger mache.

Normalerweise.

Damit ich niemals Gefahr laufe, einer der Dummschwaller im Netz zu werden, die ständig herumzetern, dass alle anderen lügen und man nur ihnen glauben sollte, versuche ich mit allem was ich tue deutlich zu machen, dass man mir auf keinen Fall glauben, sondern mir nur zuhören und am Ende darüber nachdenken sollte; darf ich vorstellen? Ein Schmutzfink. Ich darf an dieser Stelle spoilern; auch wenn ich mich mal zusammenreiße und versuche eine gewisse Seriosität an den Tag zu legen, werde ich dennoch zu keinem abschließenden Endergebnis kommen. Was folgt ist demnach Zeitverschwendung. 

Trotz aller Ablehnung des Themas, denke ich aber nicht, dass ich eine Änderung am Grundgesetz, die schlussendlich mir ganz persönlich zugute kommen soll, so völlig unkommentiert lassen kann. 

Immer wieder spüre ich die Erwartungshaltung anderer Menschen, dass ich mich doch in irgendeiner Weise zu Rassen- und Rassismusfragen zu äußern hätte. Klar, wie ich zu offenen Neonazis oder dem systemischen Rassismus im christdemokratischen Abendland stehe, ergibt sich von selbst, aber wo ist meine Positionierung zu #blm? Wo sind meine Reposts von @wasihrnichtseht? Wo ist mein Aktivismus, mein Engagement für die nichtweiße Community?

Naja.

Das gibts nicht. Und das nicht nur aus Frust darüber, dass ich eh nicht anders kann. 

Eine Kunstgruppe, in der ich mich als Autor betätige, bekam einmal eine Förderung in Aussicht gestellt, wenn wir „irgendwas gegen Rassismus“ machen könnten, natürlich fuhren alle Köpfe synchron zu mir herum und ich nur (schon allein deshalb gereizt): „Vergesst es. Ich schwöre es euch, wenn das am Ende bei mir hängenbleibt, kriegt ihr einen Werbespot fürs Blackfacen“. Die anderen haben gelacht, ich habe gelacht, die Maske hat gelacht, die Kamera- und Tonleute haben gelacht, das Internet hat gelacht, der Förderer hat gelacht, wir haben die Kohle bekommen. So war das eigentlich nicht gedacht gewesen.

Ich sehe es ehrlich gesagt genau so wenig als meine Aufgabe euch therapeutisch dabei zu begleiten, wie ihr damit klarkommt, dass es uns gibt, wie ich mich verpflichtet fühle, das wohlige Gefühl jener, die schon dabei sind, zu den Guten zu gehören, zu streicheln. Ja, aber ich muss doch eine Meinung dazu haben? Es betrifft mich doch.

Ja, das muss ich. Eigentlich.

Ich selber weise ständig darauf hin, wie falsch der Begriff „Meinung“ heutzutage gemeinhin angewandt wird und dass die Bildung einer Meinung eine sehr mühevolle Angelegenheit ist. In einigen Dingen zu mühevoll, als dass ich wirklich Lust darauf hätte. Vor allem aber stresst mich, dass ich das muss. 

Tatsache ist, dass ich immer braun sein muss. Immer wenn ich meine eigenen vier Wände verlasse, betrete ich als brauner Mensch eine weiße Welt. Ich weiß, dass ich in einer unbekannten Öffentlichkeit nie einfach „der Typ“, sondern immer „einer von denen“ bin, dass ich bei allem, was ich tue, immer auch ein Botschafter „der anderen“ bin, obwohl ich mit denen nichts zu tun habe. Wenn weiße Leute scheiße bauen, können weiße Leute nicht einfach sagen, klar, weiße Leute tun sowas, sondern müssen andere Gründe finden, warum sie selber das nie tun würden, wenn andersfarbige Leute scheiße bauen, besteht diese Notwendigkeit hingegen nicht. Während also die Taten weißer Leute gemeinhin individuell bewertet werden, werden die Taten nichtweißer Leute gerne in den Kontext des Nichtweißseins eingeordnet. Ob ich mich nun schriftlich oder durch Solidaritätsbekundungen in sozialen Netzwerken äußere oder nicht, ändert nichts an der Tatsache, dass mein gesamtes Sein im öffentlichen Raum immer ein Statement ist, dem ich mir ununterbrochen bewusst bin. Das ist anstrengend genug.

Aber warum beteilige ich mich nicht an der aufklärerischen Arbeit anderer? Wieso weise ich nicht darauf hin, was es da gibt und reposte für den Algorithmus? Ganz einfach. Weil das nunmal nicht der Weg des Schmutzfinks ist. Ich kann ja gar nicht umhin, mit meiner „Arbeit“ und meinen Überzeugungen, schon alleine wegen meiner Farbe, erstmal links der Mitte eingeordnet zu werden, auch wenn ich selbst dem vehement widerspreche, natürlich nicht aus Angst, links eingeordnet zu werden (warum sollte ich das auch fürchten), sondern weil ich ja weiß, dass viele meiner Überzeugungen linken Utopien konkret zuwiderlaufen und ich niemanden enttäuschen will. Das ändert nichts daran, dass viele meiner Freunde sich genau in der Blase bewegen und mich dadurch ja auch zwangsläufig mit hineinziehen. Insofern kriege ich die Rassismusskandale schon mit und kann freimütig zugeben, dass ich als Mensch nicht immer in der Lage bin, den solidarischen Zorn zu zügeln, der mich bei solchen Dingen erfasst.

Finde ich es also toll und unterstütze ich die Arbeit, die die Leute machen? Als Privatmensch uneingeschränkt - als Schmutzfink nicht aktiv und als Privatmensch finde ich im Internet nunmal nicht statt. Es gibt ohnehin keine echten Menschen im Internet, nur Kunstfiguren, und als Schmutzfink hab ich das, wie ich glaube, durchschaut. 

Natürlich ist es ein Sieg für die Gesellschaft, für die Gerechtigkeit und für eine wahre Demokratie, wenn ein schwarzer Mensch einem weißen erklärt, dass er, wenn er sich seiner kulturellen Vorurteile, seiner Privilegien und der Notwendigkeit rassistischer Strukturen zum Erhalt des Wohlstandes der ersten Welt, nicht immer bewusst ist, er auch immer Gefahr läuft, selber systemischen Rassismus zu fördern und der dann antwortet: „Wow, das öffnet mir jetzt voll die Augen. Ich werde da in Zukunft drauf achten und so der Wandel sein, den ich mir wünsche. Danke, schwarzer Freund, darf ich dich Schokobär nennen?“. Einerseits.

Andererseits sehe ich dabei vor meinem inneren Auge dann eben auch Menschen, denen man in einer Telegramgruppe erklärt, dass Bill Gates die WHO gekauft hat um China und die USA dazu zu zwingen die AfD zu stürzen, wovor uns momentan nur Trump und Putin schützen könnten und die dann antworten: „Wow, das öffnet mir jetzt voll die Augen. Ich werde da in Zukunft drauf achten und so der Wandel sein, den ich mir wünsche. Danke, brauner Freund, darf ich dich Führer nennen?“

Aber Schmutz!!!

Du kannst doch Menschen, die erkennen, dass sie Rassismus als erstes in sich selbst zu bekämpfen haben, um ihn in der Gesellschaft angreifen zu können, nicht mit Querdenkern gleichsetzen?!

Ruhe!

Das hier ist mir zu wichtig, um es durch den Fleischwolf zweidimensionaler Schablonen pressen zu lassen. Das hier ist der Versuch gerade zu denken.

Ja, ich meine, dass es durchaus integere Menschen gibt; konstruktive Menschen, die destruktiven Menschen entgegenstehen. Ich denke, dass die integeren, oder, in den Worten der alten Philosophen, die demokratischen Menschen, früher oder später zwangsläufig in die „richtige“ Blase stolpern und dass es keine größere Überzeugungsarbeit braucht, denen klarzumachen, was eigentlich immer für alle Menschen aller Farben gilt, nämlich dass sie sich mal reflektieren sollen. Und ich denke, dass man destruktiven Menschen erzählen kann was man will, wenn man sich zu fein ist, sich auf ihre destruktiven Weltbilder einzulassen. Als Schmutzfink, selbst eine destruktive Natur, kann ich mich diesen destruktiven Menschen nähern - solange ich es unter allen Umständen vermeide, ihnen aus einer moralischen Selbstüberhöhung heraus ihren Mangel an Integrität vorzuhalten und gleichzeitig meinen eigenen Mangel an Integrität zum Konzept erhebe. Die guten Menschen dürfen das nicht, ihre Integrität ist ihr Schild, der Schmutzfink kann Freude daran haben, sich darauf einzulassen, wenn sozialdarwinistische Rechtsesoteriker ihm erklären, dass die überlegene Rasse das naturgegebene Recht hat, als Herrenrasse alle anderen Völker zu beherrschen. Der Schmutzfink kann Freude daran empfinden, wenn die gleichen Leute ihm erklären, dass die Juden dank Hinterlist und Klugheit alle anderen Völker unterjocht haben sollen und ein Schmutzfink kann Freude dabei empfinden, wenn er zurückfragt, ob dann, wenn sich ein Volk mit Hinterlist und Klugheit als überlegene Rasse erweist und fähig ist, alle anderen zu unterjochen - das dann nicht genau das ist, was sich der rechtsesoterische Sozialdarwinist, die rechtsesoterische Sozialdarwinistin, wünschen? Für mich persönlich scheint sowas deutlich verheerender in manch Weltbild einzuschlagen als Leute mit Verfassungsklagen zu überziehen, weil sie den Holocaust leugnen. Um solchen inneren Widersprüchen solcher geschlossener Ideologien wirklich auf die Schliche kommen zu können, muss ich mich in einer Weise auf sie einlassen, wie es die guten Menschen nicht dürfen.

Ich sehe meine Aufgabe als „Künstler“ also nicht darin, meine Blase zu bedienen; ich bin ein Schmutzfink, ein räudiger Hund, der die Hand beisst, die ihn füttert. Ich will Blasen durchbrechen und zwar alle, völlig unabhängig davon, welche Blase ich befürworte.

Ihr tut immer so, als sei diese ganze Sache was neues; Blasenbildung, Internetblasen und solche Dinge - weit gefehlt. Axel Hacke bringt meine Beobachtungen auf den Punkt, wenn er schreibt: „Um es platt und geradeheraus und ein bisschen polemisch zu sagen: Mit den sozialen Medien hat die menschliche Primatengruppe nichts prinzipiell Neues entdeckt oder geschaffen, nur eben neue soziale Medien für die ewig gleiche Beschäftigung mit sich selbst, diesmal auf Welt-Ebene.“ (Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen). 

Mit ein wenig Phantasie kann man soziale und weltanschauliche Blasen schon in Platons Drohnenschwärme hineininterpretieren und der analysiert immerhin griechische Gesellschaften von einem halben Jahrtausend vor Christus.

Kaum noch Phantasie ist vonnöten, wenn John Stuart Mill in „Über die Freiheit“, Mitte des 19. Jahrhunderts schon quasi einleitend feststellt, dass wir dazu neigen uns in „blindem Glauben auf die Unfehlbarkeit »der Welt« im Allgemeinen“ zu stützen. „Und »Welt« bedeutet für jedes Individuum den Teil davon, mit dem es in Berührung kommt: seine Partei, seine Sekte, seine Kirche, seine Gesellschaftsklasse […]“.

Gar keine Phantasie brauchen wir mehr, wenn wir in Le Bons „Psychologie der Massen“ blättern. Man würde nichts an Sinn und Inhalt des Buches ändern, wenn man es in Radikalisierung der Internetblasen umbenennen und überall im Buch Masse durch Blase ersetzen würde. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass dieses Buch in seiner Kürze und pragmatischen und schnörkellosen Einfachheit einfach alles, was gerade passiert, erklärt. Und das gilt für jedes „gerade“ seit 1895. Die Abwendung von der Logik, die Verknüpfung von Dingen, die höchstens oberflächlich miteinander verknüpft sind, die Wissenschaftsfeindlichkeit, die völlige Unempfänglichkeit für logische Beweisführungen, das schwarz-weiß-Denken, die Radikalisierung, die Argumentationsweise; man könnte die Psychologie der Trump Wähler, der Erdogan Wähler, der Pegidas oder der Querdenker problemlos komplett aus Zitaten Le Bons zusammenstückeln und niemand würde es merken.

Düster wird es erst, wenn man sich bewusst macht, dass dies die Analyse jener Umstände ist, aus denen die französische Revolution in den Terror abdriftete, zu den Hektolitern Blut, welche durch die Straßen von Paris flossen, bevor die Masse ihre Freiheit nutzte um mit einem „Mann aus dem Volk“ einen der größten Tyrannen und Kriegstreiber Europas an die Macht zu hieven.

Noch düsterer wird es, wenn man sich klar macht, dass dieses Buch die Bedienungsanleitung zum Sturz der Weimarer Republik und der Machtergreifung der Nationalsozialisten war, also der Leitfaden nach dem man das Volk dazu brachte, die gewählten Herrscher abzusetzen, bevor die Masse ihre „Freiheit“ nutzte um mit einem „Mann aus dem Volk“ den größten Tyrannen und Kriegstreiber Europas an die Macht zu hieven.

Nicht nur, dass es eine der wichtigsten Schriften der europäischen Moderne ist und jetzt gerade wieder von besonderer Wichtigkeit, nein, es ist eine ganz spezielle Feststellung darin, die mich umtreibt:

„Die mannigfachen Triebe, denen die Massen gehorchen, können je nach Anreiz Edel oder grausam, heldenhaft oder feige sein, stets aber sind sie so unabweisbar, dass der Selbsterhaltungstrieb vor ihnen zurücktritt. Da die Reize, die auf eine Masse einwirken, sehr wechseln und die Massen ihnen immer gehorchen, so sind sie natürlich äußerst wandelbar. Daher sehen wir sie auch in demselben Augenblick von der blutigsten Grausamkeit zum unbedingten Heldentum oder Edelmut übergehen.“

Psychologie der Massen

Da ist einiges innerhalb der Blasen der „Guten“, was mich hart nervt, als da vor allem wäre dieses weitverbreitete Gutmenschentum, womit ich selbstredend den eher linken Kampfbegriff gegen die heuchlerisch moralisierende bürgerliche Mitte meine und sicherlich nicht jeden Menschen, der es irgendwie doof findet, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, oder gar so unglücklich sind, in Moria noch am Leben zu sein, wie die Blitzbirnen vom Absturz für Deutschland und deren Cheerleaderschaft von rechts außen das Wort in ihrer Einfalt verwenden. Ich sehe meine Aufgabe nämlich ganz bestimmt nicht darin, die Guten in ihrer Selbstbeweihräucherung zu bestärken, dass sie ja auf der richtigen Seite sind, weil ich halt der Meinung bin, dass alle Menschen, egal wie edel ihre Ambitionen auch sein mögen, in dem Moment, in dem sie sich zu den Guten und die anderen zu den Bösen erklären, automatisch sofort die Bösen werden.

Die Menschen innerhalb „meiner“ Blasen sind in der Folge nur meine Zielgruppe, wo ich sie in ihren Überzeugungen herausfordern kann, wo ich sie fragen kann, ob sie eigentlich noch für ihre Utopie kämpfen, für eine offene Gesellschaft, in der alle Menschen, die gleichen Chancen haben, oder längst nur noch gegen ihre Feindbilder, gegen Rassisten, gegen Arschlöcher, gegen die anderen und damit gegen Teile der Gesellschaft, für die sie sich insgesamt doch einsetzen wollen.

Ich versuche es, der Schmutzfink schafft es: ein Leben nach der Stoa zu führen. 

Insofern stellt sich, wenn ich Geschichten von rassistischen Übergriffen bei der Polizei höre, von marschierenden Nazis auf den Straßen, von Wahlsiegen der CDU, wenn ich selbst von irgendeinem Trottel belästigt werde, ja immer zuerst die Frage „bin ich wütend?“ und wenn ja, „warum?“ Habe ich zu verantworten, dass dies oder das passiert ist? Liegt es in meiner Macht, jetzt dafür zu sorgen, dass das nicht mehr passiert? Nein und nein. Was kann ich denn tun um etwas zu ändern? Ich könnte meine Blase verlassen und das tun, was der Schmutzfink tut; Schmutz in den Blasen der anderen hinterlassen. Ich komme nicht unter dem Banner des besseren Wissens, auf dem weißen Pferd der Gerechtigkeit angeritten, das heilige Schwert des erhobenen Zeigefingers zum Angriff nach vorne gestreckt, nein, ich lasse mich ein auf die Argumentation, ich kommentiere die Argumentation und ich stelle sie in Frage und ich bin wieder weg und alles was bleibt ist ein Fleck; Schmutz auf der Fassade eines geschlossenen Weltbildes, den man entweder ignoriert oder versucht zu entfernen und wenn man versucht ihn zu entfernen, dann merkt man, dass der Putz mit abbröckelt und dann merkt man, dass das ganze Gebäude von nichts als dem Putz zusammengehalten wird und dann hat man keine Ahnung mehr, wo das eigentlich herkam, nur, dass das Weltbild plötzlich anfängt zu bröckeln.

Das ist mein Ding. Dafür bin ich da.

Nicht dafür, bessere „Wahrheiten“ zu präsentieren, moralische Überlegenheit vorzuführen oder irgendjemandem zu beweisen, um wievieles klüger ich bin als er - nur um Konstruktionsfehler der Demagogen aufzudecken, die gutes Geld damit verdienen, die Demokratie in ihrer verwirrenden Ambiguität für geschlossene Weltbilder zu verscherbeln.

Das erreiche ich meines felsenfesten Erachtens nach nicht, wenn ich aus der Blase junger farbiger Opfer heraus gegen die Blase alter weißer Täter trete. Selbst, wenn ich wollte; ich darf das gar nicht. Der Kern aller meiner Texte ist immer der Aufruf, sich aus dem Schwarz-Weiß-Denken zu befreien, weil die Demokratie in meiner Welt im Kern nichts weiter als die Akzeptanz der allumfassenden Gräue ist; wie unfassbar astringent wäre es da, wenn ich mich auf den Kampf schwarz gegen weiß in irgendeiner Form einließe?

Das vorangegangene ist der überambitionierte und zweifelsohne gescheiterte Versuch, meinen Standpunkt vor 34 Jahren Leben in Deutschland als brauner Mensch zu rechtfertigen und meinen recht pragmatischen Standpunkt dazu vorzutragen.

Und zwar jetzt:

Ich bin dafür, das Wort Rasse einfach drinzubehalten. Die Annahme verschiedener Rassen und die Aufstellung einer kulturellen oder zivilisatorischen Wertigkeit zwischen ihnen ist nunmal die Grundlage von Rassismus und eine solche Klausel im Grundgesetz erstickt im Keim, dass Rassismus jemals great again wird. Dass eine Einteilung der Menschen in Rassen vor dem heutigen Stand der Wissenschaft Blödsinn ist, ändert nichts daran, dass sich das vor einem künftigen Stand der Wissenschaft ändern kann - man stelle sich bloß vor, unser Bildungssystem läge weitere 40 Jahre in den Händen der Union. Hinzu kommt, dass der Umgang mit dem Wort international ein sehr unterschiedlicher ist, so scheint es in den USA ganz selbstverständlich zu sein, die Bevölkerung in races zu erfassen. In einer Welt, in der Rassen durchaus noch eine Bedeutung haben, ist es sinnvoll, im Grundgesetz unmissverständlich zu klären, wie Deutschland dazu steht.

Ich bin ohnehin immer dagegen, böse Worte (die keine expliziten Beleidigungen sind) zu verbieten oder aus dem Gedächtnis streichen zu wollen, die Gedanken dahinter sind doch eh frei und damit unverbietbar. Das gilt in meinen Augen übrigens genau so fürs Holocaust-Leugnen oder das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Solche Maßnahmen löschen ja nicht die Ideologie aus, sondern verschieben sie aus der Öffentlichkeit in Parallelwelten im Netz, wo sie ungehindert weiter existieren, aber keinem öffentlichen Widerspruch mehr ausgesetzt sind und umso mächtiger wirken können. Eine Gesellschaft, deren Öffentlichkeit nicht in der Lage ist, solche Narrative öffentlich zu zerlegen, ist für die Demokratie ohnehin verloren; da helfen auch Verbote nichts mehr, ganz im Gegenteil; Aussagen zu verbieten, verhindert, diesen Aussagen widersprechen zu können.

Einerseits. Andererseits:

Mir ist völlig klar, dass ich meine Ansichten und meine persönlichen Erkenntnisse niemandem aufzwingen kann, dass die meisten farbigen Menschen in diesem Land andere Erfahrungen gemacht haben als ich. Ich bin in eine weiße, deutsche Familie in Deutschland hineingeboren, wurde weiß sozialisiert und in einem, schon irgendwie dem Bildungsbürgertum zugehörigen, Umfeld intellektuell frühgefördert, mit anderen Worten, mir wurden all die rassistischen Stereotype, mit denen weiße Menschen alle anderen belegen, selbst anerzogen. Beispielsweise habe ich sobald ich das Alphabet in der Grundschule gelernt hatte, quasi alle Karl May Bücher gelesen - bevor ich in die fünfte Klasse kam. Ihr könnt euch vorstellen, dass das meine pubertäre Identitätsfindung nicht unbedingt vereinfacht hat. Ich sage gerne, um solche Gespräche im Keim zu ersticken, dass ich ein ganz normaler weißer Junge bin und die Farbe lediglich Zufall ist.

Worauf ich eigentlich hinauswill ist, dass ich früh (und zu meiner Verteidigung: anfangs völlig unbewusst) verstanden habe, den Rassismus der Menschen für mich zu nutzen und Karl May hat mir extrem dabei geholfen. Bevor ich vor sehr vielen Jahren in einem damals schon alten Zeit-Artikel etwas vom „Edlen Wilden“ las, hatte ich schon lange ein eigenes Wort für das Phänomen; den „Winnetou-Komplex“.

Ich habe nämlich verstanden, dass Karl May Winnetou und „seine“ Apachen als europäische Idealmenschen gezeichnet hat. Winnetou als weiser Feudalherrscher, der sämtlichen Idealen des romantisierten europäischen Rittertums gehorcht und sein Volk, welches das Ideal seines Herrschers befolgt. Vor diesem Hintergrund kann Karl May ganze Indianerstämme, einfach weil sie nicht so sind, wie die edlen Apachen, von seinen Romanhelden (also unter anderen sich selbst) bedenkenlos hinwegmetzeln lassen. Und hier komme ich ins Spiel, mit meinem perfekten Deutsch, meiner Teilhabe am kollektiven Gedächtnis meiner Generation in Deutschland und meinem durchaus fundierten Bildungsstand, biete ich mich den Menschen geradezu als Winnetou an, ich beweise ihnen ja, dass farbige Menschen sich super integrieren können - warum tun das dann nicht alle? Wenn ich ihn cool finde und ab sofort sagen kann, dass ein paar meiner besten Freunde schwarz sind, dann kann ich ab jetzt doch richtig schön über die drogendealenden Affen, die „unsere“ Frauen belästigen abledern, oder? Natürlich zwingt sie das zugleich, wenn es um mich geht, auch immer in den allerhöchsten Tönen von meiner Großartigkeit zu schwärmen und mich bei jeder Gelegenheit spüren zu lassen, wie man „ein paar seiner besten Freunde“ behandelt. Schlussendlich mache ich es allen anderen farbigen Menschen, denen es weniger einfach gemacht wurde, dadurch dass ich den positiven Rassismus ganz ungeniert für mich arbeiten lasse, nur noch schwerer - und werde dadurch Teil des Problems. Wenn ich auch nur im Ansatz so faul wäre, wie es mir die Menschen gerne unterstellen, hätte ich es mir in der Rolle gut gemütlich machen können. Wenn Leute sich fassungslos fragen, wie Menschen, wie Xaviar Naidoo oder Achille Demagbo überhaupt möglich sein können - ich weiß es. Und ich habe Mittel und Wege gefunden, wie ich solchen Menschen, für die ich diese Rolle spürbar einnehme, freundlich lächelnd ihre eigene dreckige Doppelmoral tief in den Rachen schieben kann. Der entscheidende Schritt zur Absolution für solche Menschen ist es ja, „einen ihrer besten Freunde, der ja Schwarzer ist und der das ja genau so sieht“ irgendwie dazu zu bringen, einzuräumen, dass ein paar von „uns“ sich ja wirklich nicht benehmen können. Ich bin darauf vorbereitet. Ich freue mich ja auf diesen Moment; es ist der Auftritt des Schmutzfinks. Andere sind darauf nicht vorbereitet.

Ich kann anderen Farbigen vor diesem ganzen Hintergrund nicht erklären, dass sie sich nicht ärgern sollen, wenn es ihnen kaum möglich ist, am HBF an Polizisten einfach vorbeizulaufen. Wenn Polizisten mich am Bahnhof für eine „allgemeine Ausweiskontrolle“ (allgemein... eure Mamas) anhalten, dann lächle ich sie von einem Ohr zum anderen an, wünsche im schönsten Pottdeutsch einen guten Tag und habe meinen Ausweis schon in der Hand, weil ich ja weiß, dass ich mit meinem Allerweltsgesicht nicht unbehelligt durch eine allgemeine Ausweiskontrolle komme. Dann brauche ich nur noch die Fangfrage ob ich schon mit der Polizei zu tun hatte bejahen und auf die eigentliche Frage „warum?“ in allerstrahlendster Freundlichkeit „keine Ahnung, sagen Sie es mir.“ antworten. Ich persönlich empfinde jedes Mal eine diebische Freude an den verschämten Jungs und Mädels, die jetzt gerade lieber ganz woanders wären und versuchen das schnellstmöglich hinter sich zu bringen. Es ist acht Jahre lang nicht aufgefallen, dass mein Ausweis seit (zuletzt) acht Jahren abgelaufen war.

Schmutz auf den weißen Fassaden ihrer Weltbilder.

Natürlich hat eine asylsuchende Person, die gerade mal ein paar Brocken Deutsch zustandebringt diese Möglichkeit nicht, und wird, wenn sie eines Tages von ihren Anfängen in diesem Land berichtet, Geschichten zu erzählen haben, bei denen selbst mir noch schlecht vor Wut wird. Vielleicht hat sie auch eine fiese Erfahrung weniger gemacht, weil zwei sehr verschämte Beamte, vielleicht doch gerade mal halbherzig einen weißen Menschen angequatscht und sie übersehen haben. Wer weiß? Wenn diese Menschen und die Menschen, die sich auf ihre Seite stellen und für ihre Rechte eintreten, also der Meinung sind, das wir die Rasse aus der Sprache verbannen müssen, um den Rassismus aus den Köpfen zu bekommen, dann ist es nur logisch, dass die Rasse nicht ins Grundgesetz gehört und dann muss ich das doch respektieren. 

Genauso kann ich Juden nicht meine Haltung aufzwingen, dass es doch für alle das beste wäre, den Holocaust leugnen zu dürfen. Es gibt nun mal einige, die Erfahrungen gemacht haben, die böse getriggert werden, wenn gewisse Leute umgehemmt ihren Kackscheiß absondern dürfen und es gibt Menschen, die sich dank dieses Kackscheißes ermächtigt fühlen, sich zu bewaffnen und die nächste Synagoge aufzusuchen; wie kann ich es wagen, denen vorzuschreiben, die Dinge doch mal mit etwas mehr stoischem Pragmatismus zu betrachten?

Das bringt mich dann auch zu einem entscheidenden Punkt, den ich anfangs kurz angedeutet habe; ich kann euch weißen Leuten kaum vorschreiben, wie ihr damit umzugehen habt, dass es uns gibt. Ich las mal einen (ich glaube ze.tt-)Artikel über farbige Menschen, in dem die Autorin konsequent von BIPoC sprach. Glücklicherweise hatte mich eine weiße Freundin irgendwann darüber aufgeklärt, dass man uns nun korrekterweise PoC, People of Color, nennt, weil das eben diese rassische Zuordnung, schwarz, rot, gelb, weiß recht stilsicher umschifft und dabei internationaler als „Farbiger“ daherkommt. Das erschien mir zwar durchaus sinnvoll, doch entschied ich mich für mich dagegen und da weiße Leute für gewöhnlich in dem rassistischen Vorurteil befangen sind, dass nichtweiße Leute keine Rassisten sein können (wenn’s nicht gerade der „Rassismus gegen Deutsche“, den gewisse Leute, die fürs Geradedenken nicht so geeignet sind, gerne bemühen, ist), ist das auch okay. PieOohCieh ist mir zu sperrig und von Pock fühle ich mich ja fast schon beleidigt, ganz zu schweigen von Biehpock („Kennste nicht? Schmutzfink? Der lange Biehpock mit den Locken?“ Nee, Freunde, echt nicht)... Also schrieb ich fragend in die Kommentare, was denn jetzt BIPoC schon wieder zu bedeuten habe (man will ja wissen, wie man gerade genannt wird), woraufhin sich auch schnell jemand meldete und mir erklärte, dass es für Black Indigenous People of Color stehe - biddewas?! Wozu braucht’s denn dann das sperrige people of color, wenn dann doch wieder alle individuellen Ethnien reingequetscht werden? Das ist doch völliger Bullshit! Nein, erklärte mir die Chatpartnerin geduldig, das seien Begriffe des empowerments, welche die jeweiligen Communitys selbst gewählt haben und die sie deshalb zu respektieren hätte. Und während ich mir noch unschlüssig war, ob das vielleicht einer der albernsten Sätze sei, die ich je gehört habe, ging mir auch endlich auf, dass ich mit der Autorin, einer schneeweißen akademischen Jungjournalistin, herself schrieb (jaja, Medienkompetenz: 6. Setzen!) und fühlte mich mit einem Mal so unendlich alt, weiß und männlich, wie niemals zuvor. Die ist mehr als 10 Jahre jünger als ich, gerade von der Uni abgegangen und versucht einfach nur als weißes Wohlstandsmädchen richtig zu machen, was die letzten Jahrhunderte von weißen Wohlstandsmännern falsch gemacht wurde. Das kann ja niemals Bullshit sein. Ich entschuldigte mich also unterwürfigst dafür, mich an dem Wort aufgehängt zu haben, lobte den Inhalt des Artikels und war raus. Niemals vergessen Schmutz, du bist ein ganz normaler weißer Junge, die Farbe ist Zufall und vorm Altern bist gerade du nicht gefeit.

Um all das nun zusammenzufassen, wenn ihr mich fragt, bin ich voll dafür, die Rasse im Grundgesetz zu belassen, einfach um unmissverständlich klarzumachen, dass Rassismus hier nichts zu suchen hat und dass gerade die Union genau diesen einfachen Grundsatz zugunsten einer „Alternative“, die sich jetzt überlegt werden muss, aufzuweichen versucht, stößt mir extrem sauer auf.

Das ändert aber nichts daran, dass es viele Menschen gibt, die das anders sehen und ich grundsätzlich immer aufpassen muss, dass ich nicht einfach zu einem alten Mann werde, der mit ganz viel pseudophilosophischem Heckmeck versucht, das einzige zu verhindern, was er wirklich fürchtet - Veränderung.

Vielleicht habe ich damit ja doch noch versehentlich eine Moral in diesen Text gekriegt: memento senile

In diesem Sinne, Schmutz für die Welt✊🏽

Weiterer Schmutz 

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